Ich war so unvorsichtig gewesen, einem Freund von meiner Vorliebe zu erzählen, mir morgens eine Birne ins Müsli zu schnetzeln. Das war kurz vor meinem Geburtstag und so fand ich am gegebenen Termin einen Folianten mit Rezepten, Anekdoten, Cocktailtipps, Reiseempfehlungen, Fotoimpressionen von ostsächsischen und württembergischen Obstwiesen und Auszügen aus einem spätromantischen Novellenzyklus. Ich packte den Band in den Lesekilometer, das sind die Regale mit Geschenken lieber Freunde, die noch der Lektüre harren. Ich kalkulierte kurz meine verbliebene Lebenszeit und seuftzte. Nachts jedoch trieb mich ein semiprominenter Fernsehkoch namens William Bürgermeister durch die Buchseiten, zitierte Fontane und bewarf mich mit Birnen aller Couleur und Konsistenz. Am Tag darauf war ich übermüdet und abgespannt und in der Nacht wurde ich erneut heimgesucht. Der Albtraum verfolgte mich vierzehn Tage, dann sprang ich aus dem Fenster meiner dreigeschossigen Privatbibliothek. Allein dem Umstand, dass auf der Auffahrt ein nach oben offener dezent überfüllter Käfig voller Dalmatinerwelpen abgestellt war, überstand ich den Sturz unverletzt. Ich dankte dem Inhaber des mobilen Takeaways, widerrief aber dennoch die Parkerlaubnis und begann, die obere Bibliotheksetage leerzuräumen und ungelogen vierhunderttausend Druckseiten Redundanz bollerwagenweise auf die Charityläden meines Wohnorts und umliegender Gemeinden zu verteilen. Als ich überall im Umkreis von fünfzig Kilometern Hausverbot hatte, waren die Regale leer und von meinem Sabbatical immerhin noch ein paar Wochen übrig. Nun war die Zeit der Vergeltung gekommen! Gehässig kichernd erstand ich gleich am ersten Tag antiquarisch eine Geschichte der Ostharzer Schmalspurbahnen, einen Roman über eine isländische Kleinstadtbewohnerin, die sich in ihren Hausmeister verliebt (Alters- und Standesmesalliance!), zwei Bände über das Flechtenmuseum St. Ütterlin sowie eine von übertriebenem Philosemitismus nur so triefende Monografie über Charles Rübli, einen zu Unrecht vergessenen Alphornbläser, der im 19. Jahrhundert nach den Apalachen rübergemacht hatte; anschließend nicht weniger als achtzehn mehrsprachige Gedichtbände, ein Elektroniklexikon aus den Fünzigern, ein autobiographisches Lesedrama aus der Feder eines Bekannten eines Onkels von Mildred Scheel, die fünfbändige Sittengeschichte des Emslands, einen Vierteiler mit dem Nachlass von Walter Kempowski und vieles mehr. Eine Druckerei fertige mir Karten an: Lieber Freund, ich dachte, das hier könnte dich interessieren. Herzliche Grüße etc. Die nahegelegene Postfiliale richtete für meine Pakete einen eigenen Schalter ein. Doch der Schuss ging nach hinten los: Meine Freunde hatten ihre Präsente in den Antiquariaten ausfindig gemacht und wegen der ausführlichen Widmung auch eindeutig identifizeren können und daraufhin und beleidigt die Annahme meiner Pakete verweigert. Eine heranschwirrende Armada von Zustelldrohnen verdunkelte den Himmel. Dabei hatte ich das gerade freigeräumte Obergeschoss doch für meine Orchideenzucht und eine Überlebensration Gewürztraminer vorgesehen. Zähneknirschend gestand ich meine Niederlage ein, räumte die Regale wieder voll und begann mit der Monografie. Und ich muss sagen, der Rübli war eigentlich ein gar nicht so uninteressanter Kerl gewesen - aargh, oh nein, da kommt noch so ein Ding! Bestimmt ein Fachbuch über Orchideen…

06/21