dora klein

Brettspiel, das sich in der klein- und großstädtischen Bohème zur Zeit der Weimarer Republik enormer Beliebtheit erfreute. Obwohl vom national gesonnen Schriftsteller Hanns Heins Ewers als Alternative zu den ausländischen Glücksspielen Poker und Roulette erfunden und publiziert, wurde DORA, angeblich wegen der moralzersetzenden Wirkung von den Behörden des dritten Reichs kurz nach der Machtergreigfung verboten. (Die „Lex DORA" war der elfte Reichserlass der Nationalsozialisten.) Prominente DORA-Spieler/innen waren Max Ernst, Karl Kraus und Leni Riefenstahl.

Dabei verkörpern die Spieler politische Fraktionen („Block-Parteien") wie die Euphemisten, die Eisenbahnergesellschaft, Hulesch & Quenzel oder den Weltnichtraucherverband und positionieren ihre Figuren auf dem Brett, so dass möglichst große „Machtzonen" entstehen. Die Figuren werden durch das Ausspielen so genannter „Lebenskarten" bewegt und damit konstruieren alle gemeinsam eine mögliche Biografie des fiktiven Protagonisten Dr. Oktonfleisch, einer Kreuzung aus Krake, Superverbrecher und Operettensänger, dessen Figur dem angeblichen Leben Mata Haris teilweise nachempfunden ist. Somit spielen die Block-Parteien gegeneinander, aber gemeinsam gegen Dr. Oktonfleisch, dessen Machtzonen kontinuierlich größer werden.

An verschiedenen Zeitpunkten seines Lebens räumt dieser ab, was bedeutet, dass sämtliche Figuren einer Partei vom Brett genommen werden. Der entsprechende Spieler hat seinen Einsatz verloren, kann aber mit seinen letzten Karten- und Spielgeldressourcen den endgültigen Sieg eines der Gegenspieler verhindern. Das Spiel endet, wenn entweder alle Parteien verloren haben oder Dr. Oktonfleisch selbst das Zeitliche segnet. Letzteres kommt jedoch nicht vor: Es ist keine jemals gespielte Partie bekannt, bei dem ein Spieler mehr als den zweiten Platz – also als Letzter von Dr. Oktonfleisch abgeräumt zu werden – erreicht hätte, selbst wenn alle Spieler kooperieren und nur „gegen das Brett" spielen. Doch ist die Unmöglichkeit eines regulären ersten Platzes so raffiniert in den an sich wenig komplexen Spielregeln versteckt, dass selbst hartgesottene Ontologen immer wieder erfolglos versucht haben, DORA zu knacken. (Tatsächlich ist in mehr als der Hälfte dieser Fälle der vorher als Sieger ausgekungelte Spieler als Erster vom Brett geräumt worden.)

Obwohl die Ebenenverschwurbelung sich bei diesem Spiel in Grenzen hält, ist das Spiel doch von hoher Bedeutung in der parallelen Semiotik, da die titelgebende Figur als Figurenprototyp für Dr. Mabuse oder Dr. Fu-Man-Chu gelten kann, in deren literarischen Ursprungsfiktionen mehrfach auf DORA angespielt wird. (Fritz Lang verzichtete bei der filmischen Umsetzung von "Dr. Mabuse, der Spieler" jedoch auf die berühmte DORA-Partie von Staatsanwalt von Wenk gegen Dr. Mabuse, wahrscheinlich aus übertriebener Rücksicht auf die Eisenbahnergewerkschaft.)