Meine letzten beiden Follower war ich nun auch los: Oma Schlüter war sanft entschlafen und Gros­sesK89 schrieb mir einen wirklich rührenden Abschiedsbrief – auf Papier! per Post! –, er müsse für ein paar Jahre als Missionshelfer in die Wildnis, da sei die Netzabdeckung das geringste Problem usf. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, aber immerhin ei­nem Menschen waren meine Be­findlichkeiten nicht völlig schnuppe und das war ein gutes Zeichen. Bevor ich anhub, mir stressfrei neue Herausforderungen zu suchen, wollte ich mir eine Auszeit gönnen und zwar an einem tropi­schen Strand. Das Geld, was mir der Pfandlei­her für meinen Elektrorasierer und das alte Smartpho­ne gab, reichte nicht wirklich für einen Flug, aber immerhin für eine Pulle Zuckerrohrtresterdestillat und zwei halbe Kokosnüsse so­wie eine LP mit karibischen Klängen (interpretiert von C.F. Jones, dem Meister der Heimorgel), die Platte aber nur, weil ich sie bei eben jenem Pfandleiher güns­tig bekam. Das sollte genügen für eine formidable Be­achparty – allein mir fehlte das Abspiel­gerät! Mein Platten­spieler war ja noch im AstA-Büro und das hatte gerade für zwei Wochen zu. Und allein könnte so ein Happening auch ein bisschen öde ausfallen. – Synergieeffekte! ging mir da durch den Kopf, als ich beim Herumkra­men den Zettel mit Fräulein Schlüters Telefonnummer fand. Die war die Enkelin der jüngst Verstor­benen und hatte mir den Schnipsel bei der Beerdigung zugesteckt. Und ich hatte Glück: Sie besaß die alte Philipps-Kompaktanlage, die sie in der Wohnung ihrer Oma vor dem Ent­rümpler ge­rettet hatte, und war einem bisschen Strandfeeling nicht abgeneigt – genau das Richtige für die dunkle Jahreszeit, da waren wir uns einig. Gerlinde (so war ihr Name) hatte die Heizung auf 5 und empfing mich im Bademantel, ich trug eine blaue Krawatte. Rumba, Rumba, Cha-Cha-Cha – der Fusel und der Bontempi-Sound stiegen uns schnell zu Kopf und wir wurden kicherig. Als die Lamba­da ertönte, streichelte Gerlinde mei­nen Schlips und ich wollte mich gerade an ihren Gürtel heranma­chen, da brach die Tür auf und Kuno, den Gerlinde auf einer Missionsreise wähn­te, stürmte hinein und ging sogleich mit einer aus­gebauten Nebelschlussleuchte auf mich los. Ich floh auf die Straße und rief um Hilfe, doch statt eines Retters erschien der Pfandleiher, der gerade die Kaktusstacheln im Rasierer und die geklaute SIM im Telefon entdeckt hatte. Mann, waren die sauer! Immerhin war ich so zu zwei neuen Followern ge­kommen, aber stressfrei geht irgendwie anders.

06/2019