Was ist Zeit? Es gibt unzählighe Prophezeiungen, die schon von langer Zeit mit "Es war einmal" anfingen. Sie alle interessieren uns nicht, weil wir sie für Märchen halten oder Legenden. Dann gibt es aber die Prophezeiung des alten Sehers Mitroklus Apretius Demostehenes, die das Ende aller Weissagungen, Prognosen, Sterndeutereien und so fort ankündigte, weil irgendwann das Universum jenseits der Zeit existieren wird und Wissen weder über die Zukunft noch über die Vergangenheit möglich ist. Wie alle Genies wurde der arme Kerl missverstanden und gehängt. Sein Fleisch fraßen die Raben, die in den Pappeln am Galgenberg wohnen. So verwundert es nicht, dass erstens heutzutage die Genies so selten an die Öffentlichkeit treten und zweitens nie jemand von Mitroklus Apretius Demostehenes gehört hat, geschweige denn, sich die Mühe gemacht hat, seine zahlreichen hinterlassenen Schriften zu sichten. Allein die Tagebücher umfassen eine Zeitspanne von 12000 Jahren, und das ist erst der Anfang. Die Dümmsten der Dummköpfe aus dem Volk teilten sich die Zettel auf, um mit ihnen zu heizen. Die Schlaueren von ihnen benutzten sie zur Wärmedämmung ihrer Hütten, aber als die Hunnen kamen, wurden die Hütten komplett verheizt.
Ein einziger Freund des Sehers schaffte es, einen einzigen Zettel aus dem Schatz des Mitroklus Apretius Demostehenes vor dem mordenden Mob zu retten. Es war ein Rezept für Linseneintopf - das dem genialen Seher schon Jahrhunderte vor der Entdeckung der Linse eingefallen war. Auf der Suche nach dem unbekannten Gemüse kehrte er in einem Dorf ein, das immerhin so groß war, dass es eine Taverne dort gab. Und da der Wanderer gerade mittellos war, tauschte er das Rezept gegen eine Übernachtung und eine warme Mahlzeit. Der findige Wirt machte sich sofort an die Verwirklichung des Rezepts, wobei er aber statt der ihm unbekannten Linsen gemälzte Gerste verwandte, und statt mit unerschwinglichen Korianderblättern mit Hopfen würzte. Währenddessen bändelte der Freund des Weisen mit der Tochter des Schankwirts an.
Es schmeckte widerlich! Die Gäste empörten sich über den ekelhaften Eintopf so sehr, dass sie dem Wirt Prügel androhten. Frustriert stellte er den Topf mit dem restlichen Eintopf in den Keller und jagte den Gast davon. Erst Wochen später entdeckte er, dass es eine gute Idee gewesen war, die ebenfalls kostbare im Rezept vorgesehene Rinderkraftbrühe durch den fleischlosen Ersatz auf Hefebasis zu ersetzen: Aus der Graupensuppe war ein leckeres Getränk geworden, dass seinem Gasthaus unvergänglichen Ruhm eingebracht hätte, wenn nicht gerade zwei Tage vorher eine ägyptische Karawane ihr eigenes Bier unter die Leute gebracht hätte.
So lebte der Wirt fortan in Gram und Trauer und verfluchte den ägyptischen Sterndeuter, der seinem Pharao rechtzeitig den Tipp zugesteckt hatte. So bemerkte er gar nicht, dass seine Tochter schon längst mit gebrochenem Herzen das Haus verlassen hatte, um ihren entschwundenen Reisenden zu suchen. Aber wie derartige Geschichten so sind: Schon in der nächsten Stadt traf sie einen Magier, der, schon leicht ergraut und reich an Erfahrung, sie mit seiner Zauberkunst beeindruckte. Mit ihm zog sie durch die Lande, bis er an einem Schlangenbiss starb. Doch die schöne Wirtstochter hatte von ihm genug gelernt, um den Ritter zu behexen, der sie auf der Burg seines Bruders aufnahm und sie in den Ehebund führte.
Da sie aber von schwachem Gemüt und minderem Charakter war (sie hatte den Verlust ihres ersten Geliebten noch immer nicht verwunden und ihre Kndheit war üerdies kein Zuckerschlecken gewesen), ließ sie sich auf dunkle Wege der Magie ein und zog sich den Zorn des edel gesonnenen Burgherrn, Gustav von Knorkenborg, zu – dieser aber einen Armbrustbolzen des Bruders Elendor und letzterer einen Schüttelnden Gehirnkrampf nach einer Überdosis Grinsepilz, die ihm irgendwie in die mittlerweile in die Tat umgesetzte Linsensuppe geraten sein musste. Die schöne Burgherrin lebte noch zwei Jahrzehnte im Turmlabor und züchtete Warzengnome, generierte Feuerblitze, verwandelte Blei in Quecksilber und Silber zu Zinn und suchte nach den Urkäften des Universums. Sie war kurz davor, die Weltformel zu entdecken und so das Erbe des Mitroklus Apretius Demostehenes anzutreten, als die Hunnen endlich auch die Burg Knorkenborg erreichten und dem Erdboden gleich machten. Dabei fand sie mit ihrem Schildknappen den Tod, als der Turm einstüzte, in dessen Keller sie flüchtete.
Vom Kämpfen müde, siedelten sich die Überlebenden beider Seiten in einem Dorf am Meer an und gründeten so die Stadt Eleutheria, die als Umschlagplatz für ägyptisches Bier zu ungeahnter Blüte gelangte. Attila selbst, so sagt man, erreichte als erster Bürgermeister von Eleutheria großes Ansehen und beschloss sein abenteuerliches Leben als ägyptischer Honorarkonsul. Hier endet die Geschichte. Mitroklus Apretius Demostehenes hat alles vorher gewusst, und daher ist es unerheblich, dass er nichts davon miterleben drufte.
(THC, Die fiesen Verliese)
Siehe auch: Der Chronist
