Meine erste Rothaarige hieß Elsbeth und war Violinistin. Wir wurden niemals körperlich. Stattdessen geigte sie mir stundenlang den Marsch oder fiedelte hübsche Sonatinen. Eigent­lich lief es gut zwischen uns, aber jedesmal, wenn ich zudringlich wurde, hielt sie mich mit ihrem Geigenbogen auf Abstand und forderte immer neue Liebesbeweise ein, wie etwa Blu­men stehlen, Bratäpfel kredenzen, Gedichte schreiben und vortragen, meine Schulter mit ei­nem tätowierten Bassschlüssel verzieren lassen oder Fliederbeersekt zubereiten. Des Win­ters trug ich sie über den Schneematsch und einen Sommer lang spendete ich ihr Schatten, indem ich sie mit einem selbst bespannten Sonnenschirm begleitete. Einmal betrog sie mich (ebenfalls nicht körperlich) mit einem Klavierstimmer, machte mir aber eine Szene, als ich die Nachbarstochter zu Wackelpudding mit Vanillesauce einlud. Elsbeth schleppte mich in Diavorträge, nötig­te mich zum Besuch eines Eiskunstlaufwettbewerbs, drängte mich zu rohem Fisch mit Meerettich und versuchte schließlich, mich als lebende Kanonenkugel an einen bengalischen Wan­derzirkus zu verkaufen. Immerhin dagegen setzte ich mich erfolgreich zur Wehr, doch mein Charakter war nicht stark genug, mich einem Augenarztbesuch und einer neuen Brille zu wi­dersetzen – zumal meine Liebste mir versprach, mir in der nächsten Nacht Zugang zu ihrem Allerheiligsten zu gewähren. Da erst und frisch bebrillt erkannte ich die überschminkten Fal­ten und die falschen Zähne. Die roten Haare waren eine Perücke und die von mir zuvor so verehrten herrlichen Rundungen erwiesen sich als Staffage. Ich war meiner eigenen Urgroß­mutter aufgesessen! Ich blies die geplante Hochzeit ab, aber da das Lokal schon reserviert war, luden wir die Großfamilie zu Aquavit und Kanapees ein. Das war ein schöner Abend, der mir infolge einer rührenden Versöhnung mit Onkel Gabriel weitere sechs Semester lang einen monatlichen Miet- und Bücherzuschuss einbrachte. Dennoch blieb Uroma Elsbeth vor­erst meine letzte Rothaarige, aber man kann nie wissen.

04/2018