Ende einer Dienstfahrt
Als unsere Regierung, deren unendliche Weisheit zum wiederholten Male gepriesen sei, die Einzelsockenkampagne ins Leben rief, scheute ich mich nicht, dem Glühen des Verfassungspatriotismus in meiner Seele nachzugeben und mich als Multiplikator anzubieten. Dies hatte ich bereits beim 40-Tage-Programm gegen Schluckauf und beim Projekt Esst mehr Grünkohl! sowie bei diversen kleineren, meist lokal begrenzten, Aktionen zur Erhaltung des biosemantischen Status Quo getan, wurde aber nicht in die engere Auswahl gezogen. Um so überraschter war ich, als ich diesmal tatsächlich an der konkreten Umsetzung beteiligt wurde. Allein der Platz auf der Shortlist hatte meinem Leben ein ganz neue Wendung gegeben (Familie und Beruf waren schnell abgewickelt), und als mir von einem Eilboten der endgültige Einsatzbescheid zugestellt wurde, fühlte ich mich so sehr eins mit der Welt, dass ich für die größten Rätsel der Menschheit nur noch ein Achselzucken übrig hatte. – Die Stätte meines Wirkens hieß Knöselrödde und lag irgenwo an der Küste. Einst mochte es wohl ein florierendes Fischerdörfchen gewesen sein, aber nun… Der Überlandbus hielt nur einmal pro Tag, nämlich kurz vor Sonnenuntergang. Sehr kurz. Der Busfahrer schien die Türen auch nur widerwillig zu öffnen, um mich aussteigen zu lassen, bevor er das Gefährt wendete und eilends die Hauptroute ansteuerte. Kurz nach dem Verlassen des Omnibusses sah ich, wie sich die Dorfbewohner näherten: Männer, Frauen, Kinder, Alte, abgerissene Gestalten mit blöden blutleeren Gesichtern wankten auf mich zu. Eine kurze Ansprache meinerseits zur Darlegung meiner Mission verhallte ungehört. Man drängte mich in die alte Kirche, die längst schon aller Insignien der christlichen Religion beraubt worden war. Stattdessen waren die Wände mit Symbolen beschmiert, die an Schriftzeichen aus vergessenen Zeitaltern erinnerten. Die Heiligenbilder waren durch Bildnisse abstoßender Chimären ersetzt, deren böse funkelnde Augen mich zu mustern schienen, und das Altarbild zeigte eine Wasserfläche in einer dunklen Höhle. Als die Dorfleute statt eines Chorals einen irren, von Schnalz- und Schmatzlauten durchzogenen Singsang anstimmten, waberte von irgendwoher gelblicher Nebel über den Boden und das Altarbild begann sich zu verändern. Es wurde plastisch und es war, als müsste ich nur einen Schritt nach vorne tun, um jene Höhle zu betreten, in der das Wasser nun durch Luftblasen (wenn nicht gar Schlimmeres) Aufruhr gebracht wurde; aus den Wellen erhob sich träge ein gigantisches, absurd anmutendes Geschöpf, das eine offenbar sehr schlechte Laune der Natur mit Gliedmaßen verschiedenster Tiergruppen ausgestattet hatte: Auf einem krabbenartigen Körper saß der Kopf eines riesigen, fünfäugigen Amphibiums, ledrige Flügel schlackerten sinnlos auf der Rückenpartie herum und eine unbestimmbare Zahl von benoppten Fangarmen kroch dem widernatürlichen Wesen ans Ufer voraus, ja es war mir, als würden sich die vorderen Enden der Arme bereits durch den Nebel schlängeln. Die Dorfbewohner hingegen hatten sich auf den Boden des in so furchtbarer Weise entweihten Gotteshauses geworfen, als warteten sie nur darauf, von einem der Fangarme in den Schlund der Kreatur befördert zu werden. So grauenhaft diese Szenerie auch sein mochte, blieb ich doch standhaft. Selbst wenn dieses alptraumhafte Etwas mir hundert Krakenarme entgegenstreckte, so hatte ich doch in meinem Musterkoffer eine adäquate Menge Einzelsocken, die über die Tentakelenden zu stülpen ich bereit, willens und in der Lage war. Ich zitierte Verfahrensvorschrift 3b, verlangte den Bürgermeister zu sprechen und öffnete mit einem fröhlichen Ploppen den Koffer. Jedoch purzelten mir statt frischer Socken die bereits benutzen Exemplare der Vorgängermission nach Altötting entgegen – die war ja spektakulär gescheitert, wie man den Medien entnehmen konnte – und sofort war der Raum erfüllt von einem ekelhaften Buttersäuregestank, welcher die Dorfleute aus ihrer Lethargie riss; das Monster zog sich fauchend und quietschend in die Höhle zurück und das Altarbild erblindete. Mit letzter Kraft, aber immerhin aufrecht, verließ ich den Tempel, welcher kurz danach hinter mir in rauchende Trümmer fiel. Wie viele Dorfbewohner es rechtzeitig nach draußen geschafft hatten, vermag ich nicht zu sagen und es ist auch unwichtig: Ich hatte ja sowieso keine frischen Einzelsocken dabei. Zu Fuß machte ich mich auf den Rückweg.
09/21
Ohne Titel (3)
Ich war so unvorsichtig gewesen, einem Freund von meiner Vorliebe zu erzählen, mir morgens eine Birne ins Müsli zu schnetzeln. Das war kurz vor meinem Geburtstag und so fand ich am gegebenen Termin einen Folianten mit Rezepten, Anekdoten, Cocktailtipps, Reiseempfehlungen, Fotoimpressionen von ostsächsischen und württembergischen Obstwiesen und Auszügen aus einem spätromantischen Novellenzyklus. Ich packte den Band in den Lesekilometer, das sind die Regale mit Geschenken lieber Freunde, die noch der Lektüre harren. Ich kalkulierte kurz meine verbliebene Lebenszeit und seuftzte. Nachts jedoch trieb mich ein semiprominenter Fernsehkoch namens William Bürgermeister durch die Buchseiten, zitierte Fontane und bewarf mich mit Birnen aller Couleur und Konsistenz. Am Tag darauf war ich übermüdet und abgespannt und in der Nacht wurde ich erneut heimgesucht. Der Albtraum verfolgte mich vierzehn Tage, dann sprang ich aus dem Fenster meiner dreigeschossigen Privatbibliothek. Allein dem Umstand, dass auf der Auffahrt ein nach oben offener dezent überfüllter Käfig voller Dalmatinerwelpen abgestellt war, überstand ich den Sturz unverletzt. Ich dankte dem Inhaber des mobilen Takeaways, widerrief aber dennoch die Parkerlaubnis und begann, die obere Bibliotheksetage leerzuräumen und ungelogen vierhunderttausend Druckseiten Redundanz bollerwagenweise auf die Charityläden meines Wohnorts und umliegender Gemeinden zu verteilen. Als ich überall im Umkreis von fünfzig Kilometern Hausverbot hatte, waren die Regale leer und von meinem Sabbatical immerhin noch ein paar Wochen übrig. Nun war die Zeit der Vergeltung gekommen! Gehässig kichernd erstand ich gleich am ersten Tag antiquarisch eine Geschichte der Ostharzer Schmalspurbahnen, einen Roman über eine isländische Kleinstadtbewohnerin, die sich in ihren Hausmeister verliebt (Alters- und Standesmesalliance!), zwei Bände über das Flechtenmuseum St. Ütterlin sowie eine von übertriebenem Philosemitismus nur so triefende Monografie über Charles Rübli, einen zu Unrecht vergessenen Alphornbläser, der im 19. Jahrhundert nach den Apalachen rübergemacht hatte; anschließend nicht weniger als achtzehn mehrsprachige Gedichtbände, ein Elektroniklexikon aus den Fünzigern, ein autobiographisches Lesedrama aus der Feder eines Bekannten eines Onkels von Mildred Scheel, die fünfbändige Sittengeschichte des Emslands, einen Vierteiler mit dem Nachlass von Walter Kempowski und vieles mehr. Eine Druckerei fertige mir Karten an: Lieber Freund, ich dachte, das hier könnte dich interessieren. Herzliche Grüße etc. Die nahegelegene Postfiliale richtete für meine Pakete einen eigenen Schalter ein. Doch der Schuss ging nach hinten los: Meine Freunde hatten ihre Präsente in den Antiquariaten ausfindig gemacht und wegen der ausführlichen Widmung auch eindeutig identifizeren können und daraufhin und beleidigt die Annahme meiner Pakete verweigert. Eine heranschwirrende Armada von Zustelldrohnen verdunkelte den Himmel. Dabei hatte ich das gerade freigeräumte Obergeschoss doch für meine Orchideenzucht und eine Überlebensration Gewürztraminer vorgesehen. Zähneknirschend gestand ich meine Niederlage ein, räumte die Regale wieder voll und begann mit der Monografie. Und ich muss sagen, der Rübli war eigentlich ein gar nicht so uninteressanter Kerl gewesen - aargh, oh nein, da kommt noch so ein Ding! Bestimmt ein Fachbuch über Orchideen…
06/21
Schatten der Vergangenheit
Auf meinen zahlreichen – allesamt in der ersten Lebenshälfte durchgeführten – Reisen verschlug es mich einmal nach Shangri-La. Es mutete sich herrlich an: Überall in der Klosteranlage ertönte liebliche Musik, herrliche Speisen wurden gereicht, es dufte nach Frühling, Flieder und Pheromon und die Rundum-Versorgung durch in knappes Tüll gewandete zauberhaft dreinblickende Dienerinnen ließ nichts zu wünschen übrig. Gar nichts. Jedoch schon am dritten Tag wurde die Idylle gestört. Die Wachen drangen ohne anzuklopfen in meine Suite und forderten mich auf, mitzukommen. Der Großrettich höchstpersönlich verlangte mich zu sprechen. Sie warfen mir einen Bademantel über, zerrten mich nach Nebenan in den Gelben Saal (es ist alles sehr fußläufig dort) und ließen mich dort auf den grob geknüpften Sisalteppich fallen. Und mein Erstaunen wuchs noch, als ich in dem weltlichen und geistlichen Oberhaupt des märchenhaften Tals Frau Dr. Camilla von Knirsch erkannte, mit der ich mal auf einer Tagung in Leinfelden-Echterdingen ein Hoteltechtelmechtel begonnen, aber nicht zu Ende gebracht hatte (die letzte Flasche Blue Curacao war schuld, aber das hatte mir Camilla damals schon nicht geglaubt). Die Anklage wurde um mehrfaches Erregen öffentlichen Ärgernisses erweitert und ein Tribunal wurde einberufen. Die Jury bestand, wie sollte es anderes sein, aus drei Handvoll meiner Verflossenen, und zwar nicht gerade jenen, mit denen die Trennung in aller Freundschaft vollzogen worden war; als Pflichtverteidiger wurde mir ein verkommener Hansel an die Seite gestellt, der selbst gerade wegen unerlaubten Betreibens einer Flaschenbierkneipe eine zwölf Zyklen andauernde Dunkelhaftstrafe absaß und der in Hoffnung auf Strafminderung ganz sicher nicht in meinem Sinne argumentieren würde. Kurzum: ein abgekartetes Spiel. Da half nur noch Trick Siebzehn, das hieß in diesem Fall: schuldig bekennen in allen Anklagepunkten, öffentlich bereuen; dann Sonnenbrille abnehmen und schließlich die ganze Truppe zu Tagliatelle mit Steckrübentrüffeln einladen. Es wirkte. Der Hansel wurde wieder ins Kellerverlies gesperrt und ich in die Großküche expediert. Während die Helferlein die prall gefüllten Speisekammern nach den Trüffeln absuchten (das konnte dauern, in Wirklichkeit hatte ich immer Austernpilze genommen, aber psst!), verdrückte ich mich durchs Ofenrohr. Doch in der Tupolew gen Heimat gab es die nächste böse Überraschung: Frech grinsend besetzte Camilla den Sitzplatz neben mir und öffnete mit lautem Klacken ihren Aktenkoffer. Die Handschellen darin ließ sie liegen, aber sie steckte mir gleich die Einladung zur nächsten Jahrestagung in die Bademanteltasche und füllte aus einem Flachmann zwei Plastikgläser mit quietschgrünem Bananenlikör. Immerhin hatte sie auch meine Sonnenbrille dabei. Na, dann prost!
12/2020
Die Zwiebelkönigin
Wären wir uns unter anderen Umständen über den Weg gelaufen, hätten die Ereignisse wohl eine andere Wendung genommen, aber über die Unvorhersehbarkeit des Lebens zu philosophieren war noch nie meine Stärke. Bleiben wir also bei den Fakten: Ich war gerade wegen meiner Neigung, den platschnassen Tafelschwamm durch den Klassenraum zu pfeffern, der Schule verwiesen worden. Der Direktor selbst hatte sich für meine Entamtung stark gemacht, aber ich durfte mich an Bord eines Segelschulschiffs mit Geschichte und Staatsbürgerkunde bewähren. Dieses sank irgendwo in den Rossbreiten und die Planke, an die ich mich klammerte, wurde auf eine winzige Südseeinsel gespült, wo auch gerade die Königin, die damit einer Palastrevolution zuvorkam, anlandete. Zunächst beäugten wir einander mit Skepsis, dann mit Neugier, dann brach gewissermaßen das Eis. Gemeinsam bauten wir erst an einem Regenunterstand, dann – wenn auch erfolglos – an einer Holzhütte, flochten uns Röckchen aus Seidelbast und übten uns im Mangokernweitspucken. Wir nährten uns von Früchten und Kleingetier und ersonnen am am Lagerfeuer Listen der 10 unverzichtbaren Dingsbumse (CDs, Bücher u.s.w) die wir unbedingt hätten mitnehmen müssen. Besonderen Spaß hatten wir dabei, uns vorzustellen, was wir mit den Bee Gees (oder dem, was davon übrig war) anstellen würden, wenn diese ebenfalls auf unserer Insel stranden würden. (Nur so viel: Kokosnüsse sowie eine ebenfalls nur in unserer Vorstellung existierende Packung Spülmaschinentabs spielten keine unwesentlich Rolle dabei…) Meine Nachbarin war kurz davor, mir ihren Vornamen zu verraten (bisher hatten wir einander mit dem jeweiligen Wochentag angesprochen, um zeitlich nicht völlig zu desorientieren), aber als das letzte Spülitab aufgebraucht war, ging unser Zusammenleben in eine kritische Phase über. Alte, überwunden geglaubte Verhaltensmuster brachen wieder durch: Die Zwiebelkönigin verlangte eine standesgemäße Anrede (reagierte aber unwirsch auf Durchlaucht), ich dagegen warf mangels Schwämmen mit griechischen Zitaten um mich. Das Klima war vergiftet und wir trennten uns. Den Unterstand nutzten wir aus pragmatischen Gründen weiterhin gemeinsam, aber den Rest der Insel teilten wir quadratfußgenau auf. Doch schon einige Tage vor der endgültigen Grenzziehung mittels Wassergraben nahte Rettung durch einen hinreichend nah vorbeischippernden Ausflugsdampfer, auf dem sich zahlungsfähige Touristen von Barry Gibb in den Schlaf singen ließen (playback, wie ich vermutete, aber egal). Die Zwiebelkönigin verdingte sich in der Buchhaltung und ich arbeitete meine Passage heimwärts in der Kombüse ab. Auch hier war das Spülmaschinenpulver alle und ich musste schrubben, schrubben, schrubben… Immerhin: Zu Hause erwatete mich ein Angebot meiner alten Schule, aber der neue Schulleiter war ausgerechnet der amtierende Selleriekaiser und ich verzichtete dankend. Τὸ δὶς ἐξαμαρτεῖν οὐκ ἀνδρὸς σοφοῦ…
01/2021
Bescheidene Bitte
Mein Hefeteig-Simulator war ein totaler Reinfall: Trotz erfolgreicher Testläufe und einer vielversprechenden Marketing-Strategie war der Launch als PR-Desaster geendet (20 nackte Piraten auf Rollschuhen hatten mit ihren Kaugummikanonen die Kinder verschreckt). Die Investoren sprangen ab und meine Gläubiger wetzten schon die Messer, da dachte ich mir, ich verdrücke mich besser ins Gerstengrütz-Kontinuum – benannt nach Dr. Anatolij Gerstengrütz, dem weißrussischen Mathematiker, der die Theorie morphografischer Räume um die Potenzierung quadrupolischer Tensorfelder mit algebraischen Para-Determinanten nebst einem Steinhagener Nullmengenbeweis erweitert hatte, bevor er endgültig in irgendeiner Klinik an irgendeinem Stadtrand verschwunden ist. Die Details dieser Theorie sind von geringem Belang; für unsereinen reicht die Modellvorstellung: Das Gerstengrütz-Kontinuum verhält sich zur vierdimensionalen Raumzeit wie eben diese zu einem rechteckigen Blatt Papier, das zu einem Einhorn gefaltet wurde (einem afrikanischen, also mit großen Ohren), welches wiederum mit Akupunkturnadeln an entsprechenden neuralgischen Punkten (Einhörner haben derer sechzehn!) malträtiert wurde; dieses Gebilde sei dann um die halbe dritte Querachse gegen den Uhrzeigersinn verzwirbelt worden, um anschließend das Ganze nach Entfernen der Nadeln wieder zu entzwirbeln, aufzufalten und unter Absingen schmutziger Lieder mit einem Gehwegrüttler zu glätten. Jeder Punkt auf dem Blatt hat nun nicht nur zu jedem Loch einen gewissen Abstand, sondern auch zu jedem assoziierten Durchstich, da jede Nadel mindestens drei Lagen Papier durchstochen hat. Wie sich ein jedem Ortsvektor zuzuordnendes n-Tupel aus Abstandsbeträgen konkret auswirkt, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen (einige Seiten des Reviews, auf das sich meine Erinnerungen stützen, wurden mehrfach gefaltet, dann durchstochen, verzwirbelt usf.), und wie man ins Kontinuum gelangt, behalte ich lieber für mich. Nur so viel: Misstrauen Sie jedem Ladebalken, vergessen Sie alles, was Sie über Metalepsen gehört haben, und streichen Sie das Wort Kaugummikanone aus Ihrem Vokabular. Falls Sie tatsächlich zu den Auserwählten gehören, die das Kontinuum erreichen sollten, und falls Sie dann eine Schachtel Filterlose mitbringen könnten, also das wäre ganz lieb! (Hin und wieder mopse ich mir welche durch einen assoziierten Durchstich, aber die reichen hinten und vorne nicht.)
05/2019
Wer, wenn nicht wir? Vielleicht keiner.
Amoenus Rickendahl, Ehrenkonsul, hatte ein Vermögern in Siffprökeln gemacht und so der Volksrepublik Yuftistan wirtschaftlich auf die Sprünge geholfen. Da er sämtliche fünfzehn Strophen der yuftischen Nationalhymne in der Landessprache vorzutragen vermochte (selbst nüchtern), wurde er nach dem Ableben des alten Staatspräsidenten per Akklamation ins höchste Staatsamt befördert. Nur beim Regieren zeigte er keine so glückliche Hand, denn der Reformstau, der die Republik in so ziemlich allen Bereichen des öffentlichen Lebens lähmte, war nicht durch optimistische Sprücheklopferei wegzuschieben. Der Yufte an sich ist und bleibt ein Dickschädel, Veränderungen werden grundsätzlich als etwas Negatives wahrgenommen – eine Erfahrung, die Rickendahls Amtsvorgänger samt und sonders geteilt hatten. Und auch er machte Bekanntschaft mit der sprichwörtlichen Undankbarkeit des Staatsvolks, welche er bisher nur für gehässige Behauptungen der Nachbarrepubliken (wenn man sie so nennen soll) gehalten hatte: Keine drei Wochen nach der Inauguration wurde ihm ein Auszug aus der Landesverfassung zugespielt, aus dem die Nachfolgemodalitäten für Regierungsposten hervorgingen: Weder Wahlen noch Rücktritt waren aufgeführt, ausschließlich das Ableben des Amtsinhabers war als Bedingung für eine Neubesetzung vorgesehen... Rickendahl musste schlucken und ließ mir einen Arbeitsplatz im Bleiernen Turm einrichten. Schon saß ich im nächsten Flieger nach der Yuftischen Hauptstadt. Meine – unsere – erste Maßnahme bestand darin, dem Volk wieder etwas mehr Orientierung zu verschaffen und die Anzahl der Wegweiser zur nächsten öffentlichen Toilette zu verdoppeln. Mein Praktikum als Museumspädagoge sollte sich hier bezahlt machen, so hoffte ich, doch die Beliebtheitswerte stiegen kaum. Mein nächster Vorschlag sollte das Verkehrschaos eindämmen, indem alle Ampeln um eine vierte Farbe, extra für liegen gebliebene Fahrzeuge, erweitert wurden – der Ruck durch die yuftische Gesellschaft blieb aus. Auch der Versuch, mit einer Strafrechtsreform die Wirtschaft weiter anzukurbeln und für Kannibalismus an Minderjährigen Sozialdienst in der großen Prökelmühle ableisten zu lassen, machte uns keine Freunde. Als zwei technische Sekretäre in kaum verwendbarer Form vor der Bürotür abgelegt worden waren und die Palastwache innerhalb des Gebäudes postiert wurde, begann mein Freund einzusehen, dass seine Regierungszeit sich dem Ende neigte. Auf dem Vorplatz wurde eine große Doppelfriteuse montiert, das Volk sammelte sich und wir überhäuften einander mit Vorwürfen. Hätten wir vielleicht einfach schon im Vorfeld das Stellenprofil für einen Troubleshooter etwas schärfen sollen? Wer weiß?
04/2019