Drei Tage war ich im Kleiderschrank eingesperrt, dann wurde ich endlich herausgelassen. Die Dame des Hauses empfing mich in einem Kleid aus Kopenhagener Satin und und bot mir grünen Tee und Ingwergebäck an. Sie trug außer ihrem Ehering keinen Schmuck. Auf dem Vertiko klimperte eine Spieluhr die letzten Töne einer Frühlingsmelodie. – Mich deucht, seufzte meine Gastgeberin, es dräut ein Wetterumschwung. Ob der Himmel noch mal aufklaren wird? – Wohl wahr, erwiderte ich, die Zeiten sind hart geworden. – Sie tupfte sich Stirn und Lippen mit ihrem Taschentuch ab und begab sich zu ihrem Lieblingsplatz im Erker. Den Kamelienstrauß hatte die Zofe frisch gepflückt, bevor sie für Besorgungen in die Stadt gefahren war. Auch der restlichen Dienerschaft hatte die Baronesse bis zum Abend frei gegeben. Nur in der Küche im Untergeschoss wurde eifrig geschwitzt. Ich setzte mich ans Spinett und spielte ihr das große Finale der ‚Nacht in Venedig' vor, während sie verträumt durchs Erkerfenster in den Garten sah. Auch ich mied ihren Anblick und tat so, als würde ich das zugeklappte Notenheft betrachten. Schon kam die Jagdgesellschaft lärmend zurück. Den Baron schien nicht zu stören, dass ihn keiner auf dem Hof empfing, selbst als er vor dem Landhaus das Halali blies. Als er schließlich noch in Reitstiefeln den Salon betrat, bedeutete er mir mit einer entschiedenen Handbewegung weiterzuspielen und wartete bis zur Coda, dann begrüßte er mich mit kräftigem Händedruck. Höflich erkundigte ich mich nach seinem Jagdglück und fragte, ob er auch gut zum Schuss gekommen sei. Da packten mich seine Jagdgehilfen und sperrten mich abermals in den Schrank. Den Teller mit Ingwerkeksen warf man mir hinterher, bevor sich die Flügeltür schloss. Die Karaffe Tokajer stand noch halb voll zu meinen Füßen. Wahrhaftig, es waren harte Zeiten.

05/2018