Unser Lautmalerstammtisch hatte es bis in die Lokalpresse geschafft. Die monatlichen Treffen im Ra­RaRasputin (mit Sojageschnetzeltem und Starkbier) waren stets gekrönt von mindestens fünfund­siebzig Strophen „Tante aus Marokko“ und zogen manchmal sogar mehr Neugierige an, als uns lieb war. Als Hüter der Tante war ich gewissermaßen der Zeremonienmeister unserer Treffen, da ich alle vier Wochen mindestens eine neue Geräuschquelle nebst onomatopoetischem Pendant zu präsen­tieren hatte. Mit dieser Sonderstellung ausgestattet, war ich nicht verwundert, als sich auf einmal der Briefmarkenhändler Isaak Weinberg neben mich setzte und mir ein großes Dinkelsbühler Dunkel auf den Tisch stellte. Der Mann hatte gut recherchiert, aber er war mir auch kein Unbekannter: Er ent­stammte einem uralten böhmischen Rabbinergeschlecht und lebte seit bald zehn Jahren bei uns im Norden in einer Villa am Stadtrand. Seine beiden entzückenden Töcher Sarah und Judith waren schon lange vor uns Lieblinge der örtlichen Journaille, natürlich in anderen Titeln als der Stamm­tisch. Herr Weinberg gab sich als praktizierender Anhänger der Akustischen Kabbala zu erkennen. Das ist eine mystische Strömung, die auf der Suche nach dem ultimativen Namen des Höchsten We­sens nicht das hebräische, sondern das phonetische Alphabet benutzt, und gelegentlich auch ver­sucht, tote Materie mit Geräuschen statt mit Zaubersprüchen zu beleben und zu beherrschen. (Da war mal was mit einem Pfefferkuchenmann in Prien, glaube ich, aber so ganz kriege ich die Ge­schichte nicht mehr zusammen.) Für deren obskure wie okkulte Forschungen sollte ich neue Ge­räusche erfinden und transkribieren, wofür mir Weinberg als Entlohnung einen eigenen You-Tube-Kanal sowie eine Einladung zum Kreispresseball offerierte. Ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte, war doch schließlich das Erscheinen der gesamten hiesigen Weinberg-Dynastie angekündigt, auch der jungen Damen, deren Kontaktdaten in meinem Adressbuch noch fehlten. Gesagt, getan. Gewissenhaft experimentierte ich mit einem von Bord eines Segelschiffs auf den Lan­desteg geworfe­nen Lederkoffer (schtlaummp – keine Materiebelebung), einer ungeölten Schranktür, in deren Schar­niere ich zwei Tüten Bärlappsamen hineingeniest hatte (fnöörk – dito) sowie einem malayischen Streifenhörnchen unter Starkstom (brrzzs – gegenteiliger Effekt). Derartige Fehlschläge oder sagen wir mal, Nebengeräusche, die keine magische Wirkung zeigten, konnte ich natürlich nach Belieben für unseren Kneipengesang verwenden, also arbeitete ich fröhlich weiter. Ich versuchte es mit dem Geräusch, das entsteht, wenn man einen halbe Tasse Sesamöl, einen Schubser Schmierseife sowie vierzig Gramm kristallines Natriumhydroxid im Badezimmerabfluss versenkt. Aus nachvoll­ziehbaren Gründen verzichte ich hier auf die exakte Transkription des annähernd plopp-ähnlichen Geräuschs, denn tatsächlich schob sich etwas, von grünlichen Dämpfen begleitet, aus den Tiefen des Rohrsys­tems hoch in meine Dusche und es klang seinerseits sehr schlecht gelaunt und überaus hungrig. Ich ergriff die Flucht ins Wohnzimmer, wurde aber von der vielgliedrigen und formlos quiet­schenden und wabbelnden Entität verfolgt. Ich warf dem Wesen Haushaltsgegenstände und Möbels­tücke in den Weg und versuchte mich auf die Fensterbank zu retten, da hörte ich, wie die Wohnungst­ür auf­gebrochen wurde. Statt der Kavallerie erschien aber nur die Frau mit den Pistazien­haaren (die aus der Wohnug unter mir), die sich über den Lärm beschweren wollte und sich nun in ei­nem Anfall von Wahnsinn in meinen Unterschenkel verbiss – es war furchtbar! Dann endlich nahte die Rettung in Form des Kabbalisten. Mit dem Ton einer doppelläufigen Knotenposause, ganz ähnlich dem Klang der oben erwähnte Schranktür, trieb er das Ding zurück ins Bad, die Nachbarin wurde mit einer schweren Bratpfanne zur Räson gebracht. Ich atmete auf. Weinberg entband mich von sei­nem Auf­trag und zog leider auch die Einladung zum Ball zurück. Aber drei neue Strophen, das konn­te sich doch schon mal hören lassen. Beim Aufräumen sang ich schon wieder fröhlich vor mich hin und freute mich auf den nächsten Stammtisch. Ja, ja, yippie, yippie, yeah!

12/2018