Geisterbeschwörung am Donnerstag
Eigentlich halte ich nichts von okkultistischen Spielereien, aber wer würde schon eine kostenlose Séance beim zweitberühmtesten Geisterbeschwörer des oberen Maintals ablehnen? Ich hatte Jens-Dietrich Dürkop mit seinem Käfer Starthilfe gegeben und er überschlug sich geradezu vor Dankbarkeit. Außerdem wollte ich mal wieder ein paar Worte mit Günter Grass wechseln und ihm nach dem Rezept für Gekümmelte Schweinskopfsülze in Aalsud fragen, die in einem seiner Romane steht. (Ich hatte das Gericht einmal nachgekocht, dabei und danach aber die Quelle mit Flüssigkümmel aus meinem Gedächtnis gespült. Und jetzt noch mal den ganzen Grass durchwälzen – och nöö…) Als er den Namen des Nobelpreisträgers hörte, bekam der Geisterseher hektische Flecken im Gesicht, sagte aber zu. Am Abend jedoch begrüßte er mich entschuldigend, der Lieblingsblumentopf seiner Ehefrau sei gerade zu Bruch gegangen und er müsste sie jetzt erst mal trösten. Ich vermutete Ausflüchte, daher erwiderte ich süffisant, beim Trösten könne ich ja behilflich sein – und schon schappte die Falle zu. Der Spiritist nämlich griff sich Zylinder und Ausgehrock und schob mich mit den Worten, ich solle gerne schon mal anfangen, in die halbverdunkelte Stube, wo ich auch schon erwartet wurde. Die zu Tröstende erwies sich als eine Art Gelbbauchunke elefantösen Ausmaßes mit einer Vorliebe für dicke Zigarren. Mit dem Charme eines Unteroffiziers befahl sie mir, ihre Füße zu massieren und kannenweise Buttermilch heranzuschleppen, dann nötigte sie mich zu zehn Partien Schachboxen, wo ich sang- und klanglos unterging. (Ich wollte sie ohnehin gewinnen lassen, merkte aber schnell, dass ich meine Meisterin gefunden hatte.) Als wir beide schließlich hechelnd und völlig verschwitzt auf dem Wohnzimmerteppich lagen, fasste sie auf einmal meine Hand, fing an zu krächzen und diktierte mir dann mit der Originalstimme des alten Grass das ganze vier Seiten umfassende Rezept (wenn auch erneut ohne Nennung der Romanvorlage). Ich griff einen alten Federhalter und notierte mit letzter Tinte die Zubereitung, da erschien der Gatte hinter dem Vorhang und bat um Verständnis für das hinterhältige Spiel. Seine Sibylle sei ein eher schwieriges Medium und Grass ein verdammt eigenwilliger Klient, da seien einige Tricks vonnöten gewesen. Ich bedankte mich höflich und verwarf noch auf der Schwelle den Gedanken an eine Gegeneinladung. Zu Schweinskopfsülze womöglich – och nöö…
11/2018
Day of the Glumps
Letzlich war es wohl ein Losentscheid, der mich zum Bezirksuntersekretärs der Gesellschaft für bedrohte Vorurteile befördert hat; sicherlich hatte ich mir mit einigen markigen Sprüchen gewisse Meriten erworben, etwa zu Frauen („Können nicht singen, nur fiepsen“), Zonis („Frustrierte Wendeverlierer, die nach Jahrzehnten sozialistischer Fremdherrschaft endlich mal usf.“) und Glumpsen („Kreuzung aus Zierkarotte und Jar Jar Binks“ oder auch: „Klein, grün, schleimig, arbeitsscheu und nur hinter unseren Mädchen her“) , aber mir dafür gleich den ganzen Bezirk Oberschwaben mit immerhin vierunddreißig zahlenden Mitgliedern anzuvertrauen – nun, mir sollt‘s recht sein! Eigentlich wollte ich mich sowieso nur auf dem Ticket der Gesellschaft in die Expertenkommission für die Umsetzung der Digitalisierung im Gartenbau wählen lassen, und als man in der GfBV bemerkt hatte, dass ich in punkto Arbeitsorganisation eine echte Niete bin, war der Vorstand froh, mich genau dorthin abschieben zu können und den Bezirk einem echten Verwaltungsmann zu übergeben. Ich dagegen landete auf einem aus Bundesmitteln gut bezahlten Posten und traf mich einmal im Monat mit ein paar alten Säcken, die sich über die Regularien zur Festsetzung der Tagesordnung stritten, weil sie aus verschiedenen Ministerien abgeordnet waren. Zusätzlich saßen noch Kirchenleute, zwei Quotenfrauen sowie ein Schlipsträger von der Dresdner Bank in der Kommission und, weil ja ein breiter gesellschaftlicher Konsens angestrebt werden sollte, ein etwa penisgroßer Glumps. Ich nannte ihn Glumpsi, weil ich seinen Namen eh nicht aussprechen konnte, und wir verstanden uns gut, denn wir teilten die Vorliebe für das Käsekästchenspiel. So dachte ich jedenfalls, aber er verfolgte geheime Pläne. Er lud uns alle zu einem Feldprojekt ein, vorgeblich als Beweis, dass die in unserer Mitte befindliche glumpsische Parallelgesellschaft auch als Bereicherung für das Land verstanden werden konnte. Stattdessen lockte er uns in einem Reisebus zu einem Elfriede-von-Würgassen-Konzert, wo wir inmitten von frustrierten Wendeverlierern, die nach Jahrzehnten sozialistischer Fremdherrschaft endlich mal die Sau rauslassen wollten, ein schreckliches Gefiepse ertragen mussten, während Glumpsi gleich mit beiden Quotenfrauen abgezwitschert ist. Ich hab‘s ja gleich gesagt!
09 / 2018
Durch dick und doof
Um Noeckels Theorie der stillen Evolution zu beweisen, lebte ich eine Zeit lang unter Steinen. Das waren die langweiligsten vierzehn Jahre meines Lebens und wenn ich in der Zeit nicht sowieso auf die Erteilung der Lizenz als Reiseleiter für Südbaden gewartet hätte, wäre die Zeit sicher vertan gewesen. (Außerdem war das eine gute Ausrede, um die damals häufigen furchtbaren, weil von Rezitationen und Handarbeit geprägten, Teezirkel derer von T*** zu schwänzen.) Doch irgendwann schmerzten Rücken und Knie und ich schlug Noeckel vor, ich könne zur Abwechslung auch mal auf dem Geröllhaufen wohnen statt darunter. Er wurde pampig, unterstellte mir Undankbarkeit und mangelnde Teamfähigkeit, ich konterte mit dem Vorwurf der Egomanie. Es gab sich Wort um Wort und beinahe hätten wir die Klingen gekreuzt, doch schon rief uns die Baronesse von T*** zum Tee. Es gab gesüßten Earl Grey und Proteinriegel, ein Naturdichter auf Lesereise vervollständigte die Qual. Noeckel und ich schieden nicht als Freunde, aber als Leidensgenossen. Nach Jahren kam es zum Wiedersehen, glücklicherweise war der Zorn verraucht. Die stille Evolution sei krachend gescheitert, gestand mir Noeckel, jetzt verfolge er den Ansatz des kondensierten Kosmos. Es fehle ihm nur an Messdaten aus der unteren Exosphäre und an tatkräftigen Partnern – da sah ich mich schon als Testperson nebst einer Kiste voller Messgeräte im Retrodesign in einer winzigen Rakete herumfliegen; verlegen stammelte ich etwas von äußerst starker beruflicher Auslastung und floh mit einem Eselskarren. Ich verbarg mich abermals unterm Geröll und nach zwei weiteren Jahren im Untergrund schlug ich mich ins Badische durch. (Die Lizenz war mittlerweile eingetroffen.) Noeckel hingegen wurde von der grässlichen Baronesse aufgespürt, entkam aber durch den Flaschenkeller und bestieg wohl selbst die Rakete. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.
09/2018
WG im Theoriegebäude
Mein Kumpel Frerk ist sicher der mieseste DJ nördlich der Elbe, aber die Mädels stehen auf ihn und die Schwoferette ist bei uns auf dem Land (mangels Alternative) sowieso immer voll. Wenn er sich nicht gerade mit dem schönen Geschlecht verlustiert oder an den Turntables die Scheiben kreisen lässt, sucht Frerk mit wahrer Hingabe das metaphysische Etwas. Er stöbert in Bibliotheken, analysiert seine belebte und unbelebte Umwelt, vor allem aber denkt er nach. Er hat schon sehr, sehr viel Zeit mit seinen Grübeleien verbracht, ohne dass er dem Etwas auch nur ein Jota näher gekommen wäre, aber auf einmal stand es einfach so vor seiner Tür. Ich befand mich gerade noch in der Küche und spülte das Geschirr (wir hatten uns Nudeln gemacht), als es klingelte. Das metaphysische Etwas fragte, ob es mal kurz das Klo benützen dürfe, und wer würde bei solcher Notlage Hilfe verweigern? Später saßen wir zu dritt im Wohnzimmer und plauderten über Kant, da gesellte sich der Begründungsendpunkt zu uns und wenig später Zeit noch das kosmische Prinzip, die mittelbare und die unmittelbare Welterkenntnis, das Rhizom (das sah aus!) sowie die Idee des Schönen. Als dann auch noch der Ekel eintraf, wurde es Frerk dann doch zu abstrakt. Er verabschiedete sich mit der Ausrede, er müsste vielleicht noch mal auflegen, und ließ mich mit der Baggage allein. Ich bin schon in weitaus alltäglicheren Situationen kein besonders guter Gesellschafter und fühlte mich an dem Abend ziemlich verloren, doch so gegen Mitternacht vervollständigten das letzte Rätsel und das Schopenhauersche Subjekt unsere Runde. Zum Glück hatten sie beide eine Flasche Tequila dabei und wir meierten eineinhalb Stunden lang, bis so ziemlich alle besoffen unter dem Tisch lagen. Ich hatte gerade angefangen, mit der Idee des Schönen auf dem Sofa rumzuknutschen, da kam Frerk zurück, und zwar mit aufgeplatzter Lippe und blauem Auge. Ein Haufen übellauniger Kategorienfehler war in der Schwoferette aufgeschlagen, gefolgt von einer Truppe populärer Irrtümer, hatte ihm eine stramme Hegelsche Rechte verpasst und dann den Laden innerhalb von zehn Minuten zerlegt. Angeblich wegen der schlechten Musik, berichtete mein Freund, aber ich glaube, die waren sowieso auf Streit aus.
09/2018
Der Schlangenflüsterer
Als unsere Regierung, deren unendliche Weisheit ewiglich gepriesen sei, die Bürgerrechte modularisierte und auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse zuschnitt, setzte sie einen gesamtgesellschaftlichen Prozess in Gang, der seinesgleichen nicht gesehen hatte. Voller Freude widmeten wir Staatsbürger unsere Zeit der Umsetzung des Großen Plans, der nicht weniger als die millionenfache Generierung neuer Chancen und letztlich auch Verdienstmöglichkeiten versprach. Und so war auch ich erfüllt von grenzenlosem Optimismus, als ich mich nach dem Rathaus aufmachte, um eine Montageerlaubnis für Kleinbeetbewässerungssysteme zu beantragen. (Der alte Gartenschlauch war mir weggegammelt und beim Baumarkt gab es gerade welche im Angebot.) Die nötigen Qualifikationsnachweise hatte ich bereits in einer Aktenmappe gesammelt, die betreffenden Formulare online ausgefüllt, ich musste nur noch meine Identität zweifelsfrei nachweisen. Nur leider hatte sich vor dem entsprechenden Amtszimmer (wie auch vor den anderen Türen) eine Schlange von knapp hundert Leuten gebildet, ganz offensichtlich alles Typen, die die wirklich überall einsehbaren Regularien nicht zur Kenntnis genommen hatten, und das hält den Laden einfach auf. Auf derartige Widrigkeiten war ich glücklicherweise vorbereitet, denn ich hatte in meinem Rucksack ein Überlebenspack bestehend aus zwölf Käsestullen, zehn gekochten Eiern, zwei Packungen Hartkeksen sowie einer Dauerwurst eingepackt, dazu diverse Garnituren frischer Unterwäsche und einen Flachmann mit Steinhäger. Für Trinkwasser war zum Glück gesorgt, da die zwischen den Warteschlangen patrouillierende berittene Polizei sicherstellte, dass jeder Antragsteller zweimal täglich Toilette und/ oder Waschraum aufsuchen konnte, ohne seiner Warteposition verlustig zu gehen. Trotz der ordnenden Kraft der Uniformierten geschah es ständig (vor allem an Flurecken und in Treppenhäusern), dass sich die Warteschlangen überkreuzten und bisweilen vermischten. So befand ich mich in froher Erwartung, nacheinander für eine Erlaubnis zum Mischbrotverzehr, eine Lizenz zum Betrieb einer Pinguinzucht sowie für einen Konfitürenbezugschein Typ 2b (Stachelbeere) vorsprechen zu dürfen, bevor ich mich wieder in die alte Schlange eingliederte, wenn auch knapp 50 Warteplätze weiter hinten. Aber das störte nicht weiter, hatte ich doch Gelegenheit, mein Sanskrit wieder aufzufrischen, und nette Gesellschaft um mich herum. Ich wurde zu spontanen Geburtstagsparties eingeladen, gewann ein Vermögen beim Siebzehn und Vier, verlor es wieder bei Pferdewetten, und organisierte eine Tauschbörse für Bücher und Medien. Die junge Frau hinter mir gebar Zwillinge und ich versprach, mittels analoger Blockchain-Flüsterkette den mutmaßlichen Vater zu informieren (die Mutter glaubte, ihn vor einem Dienstzimmer in der Abteilung für Parkraumbewirtschaftung kennen gelernt zu haben). Ich dagegen verliebte mich in ein Mädchen aus der Nebenschlange. Wir wollten heiraten, aber das Standesamt war nur über einen Paternoster zu erreichen, dessen Benutzung eine spezielle Schulung voraussetzte, die aber auf zwei Jahre im Voraus ausgebucht war. Wir hatten uns gerade für übernächste Woche in der entsprechenden Warteschlange verabredet, da erwachte ich, den Kopf auf der Schreibtischplatte. Was für ein Alptraum! Vor mir lag ein halbes dutzend Aktenstapel, alles unbearbeitete Anträge, wahrscheinlich irgendwelche Baugeschichten. Ich könnte ja mal einen der Stapel sichten, dachte ich mir, aber es war schon halb vier und ich hatte mir zur – wie ich finde, löblichen – Gewohnheit gemacht, meinen Arbeitsplatz immer penibel aufgeräumt zu hinterlassen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag.
10/2018
Aktionskunst
Manchmal ist es doch geradezu beglückend, Teil von etwas ganz Großem zu sein, also war ich mir nicht zu schade, als Laborknecht an der Entwicklung eines natriumgekühlten Dimensionskratzers mitzuwirken. Wie schade, dass der Prototyp in der Nacht vor seiner Erstvorführung vom Finsteren Fritz entwendet wurde! Zwei Wochen später konnte mich aber der große Carlingo für seine Sache gewinnen: In seiner Multi-Dingsda-Installation „Der Flugplatz von Ramelsloh“ sollte ich ich in rosa Tüll eingewickelt den Defibrillator darstellen, auch wenn mir der Part als Rollfeld besser gefallen hätte: Die dünne Eschi war für die landende Concorde vorgesehen. Aber Carlingo – als einer der wenigen durfte ich ihn Jochen nennen – hatte mich schnell überzeugt. Ausgerechnet am Abend vor der Präsentation jedoch wurden wegen des rosa Tülls patentrechtliche Bedenken angemeldet (natürlich von irgendwelchen Amis) und Carlingo musste noch schnell zu Staples, dort besorgte er als Ersatz für den Stoff pinken Tonkarton und trat auf dem Parkplatz dem schwarzen Audi, der scheinbar unerlaubt in der Eltern-Kind-Parklücke stand, den Außenspiegel ab. Der Wagen aber gehörte dem Finsteren Fritz, der den armen Jochen nicht ganz zu Unrecht (die Kinder waren im Kofferraum eingeschlossen) sogleich mit den Ohren an die Stoßstange tackerte und dann zur Kunstwerkstatt raste, um uns allen kräftig den Marsch zu trompeten und die ganze Installation auf recht phantasielose Weise umzuorganisieren. Es hätte alles viel schlimmer ausgehen können, wenn nicht gerade in dem Moment die gelangweilten Kinder im Kofferraum der Limousine angefangen hätten, mit dem dort gelagerten Dimensionskratzer zu spielen, welcher ziemlich kurzfristig halb Sachsen (leider die falsche Hälfte) in eine Paralleldimension versetzte; der Prototyp überhitzte natürlich sofort – der Natriumtank war ja noch nicht aufgefüllt – und der schmurgelnde Audi lenkte den Schurken glücklicherweise lange genug ab, so dass wir fliehen konnten. Carlingo ist immer noch in der Reha und fehlt jetzt als inspirierende Kraft, also mach ich mit Eschi mein eigenes Ding. Was, verraten wir noch nicht, aber bald ist Vorstellung. Stay tuned!
09/2018